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Nachricht aus dem Archiv

baeuchlein schrieb am 29.August.2018, 15:20:20 in der Kategorie ot.kultur

Schuld und Verantwortung... und Vorurteile.

> Stell dir vor, wir hätten jetzt 1933. Würdest Du Deinen letzten Post
> genauso verfassen?
> Ich kann mir schon denken, was jetzt für eine Antwort kommt

Wieso soll ich mich dann überhaupt noch um eine solche bemühen?

Ich weiß nicht, was ich schreiben würde, wenn wir 1933 hätten. Ich weiß nicht, wie gut man damals über das bis dahin stattgefundene Treiben der Nazis informiert war. Und je nachdem, wie repressiv damals schon gegen "Abweichler" im "Volkskörper" vorgegangen wurde, kann es auch sein, dass ich aus Angst nichts geschrieben hätte. Ich bin nun mal kein Marvel-Superheld, sondern ein kleiner, dicker und nicht mehr ganz junger Mann aus Deutschland, der des Öfteren niemanden hinter sich hat, wenn's drauf ankäme.

Ich kann's aber mal anders auf den Punkt bringen. Schuld und Verantwortung sind zweierlei Dinge. Ich habe keine Schuld an der Nazizeit 1933-1945, aber als Angehöriger jener Nation, die damals für den womöglich größten Massenmord in der Geschichte verantwortlich ist, habe ich eine Verantwortung dafür, dass sich sowas nicht wiederholt. Diese Verantwortung hat aber Grenzen. Ich kann nicht jedesmal, wenn wieder ein rechter Dummbatz Mist baut, Dünnpfiff erzählt oder gar Leute umbringt, da auftauchen und was dagegen tun, und sei es auch nur, mich dagegen auszusprechen. Von Sachsen trennen mich mehrere Stunden Fahrzeit, allein das verhindert schon so einiges.

Und Schuld daran, was irgendwelche anderen Leute, womöglich auch in meinem Namen ("für Deutschland", o.ä., da gehöre ich ja auch zu) anrichten, habe ich für gewöhnlich nicht. Ich kann mich nicht zu jedem Dreck, den diese erbärmlichen kleinen braunen Hohlköpfe veranstalten, umfassend informieren und dann kompetent dagegen anreden.

Ich habe früher mal versucht, in Foren (auch diesem hier) gegen rechte Vollpfosten und deren Gedankengut anzuschreiben. Ich habe es im Umfeld der Verwandtschaft immer wieder mit jemandem zu tun, der Zeug absondert, was so weit rechts ist, dass man auf der politischen Autobahn schon rechts vom Standstreifen 'runterfällt. Das Gesabbel kommt z.T. immer noch in Gegenwart eines türkischstämmigen, aber in Deutschland aufgewachsenen Familienmitglieds, zustande, und nachdem ich mehrere Jahre lang immer wieder versucht habe, dagegen anzureden, bin ich irgendwann K.O. gewesen von dem Scheiß sowie den fruchtlosen Versuchen, Hohlfritten im Internet beizubringen, weswegen sie braunen Müll daherreden. Da kann man auch gleich gegen eine Wand anreden, die ballert einen wenigstens nicht mit Kilotonnen Gegenbehauptungen in Form vermeintlicher "Tatsachen" zu, die man selber dann wieder zu überprüfen und zu widerlegen hat - und dann seiern die Hohlköppe gleich wieder den nächsten erfundenen Scheiß daher. Aber wehe, wenn ich dann nicht sofort und augenblicklich dagegen demonstriere und/oder kompetent gegen anrede... dann bin ich es ja wieder schuld.

Aber von all dem, was ich da so tu', kriegt ihr tollen Alleswisser und Schuldzuweiser natürlich nix mit. Oder davon, dass ich immer mal wieder einem weiteren Familienmitglied zu erklären versuche, warum die BRD gezwungen war, Sami A. (oder wie das aktuelle Reizwort genau heißt) wieder zurück zu holen. Dass da was rechtsstaatlich nicht korrekt gelaufen ist, wollen viele Leute offenbar nicht wissen. Und schon gar nicht, dass ein gewisser Verdacht besteht, dass da Absicht im Spiel war. Aber vermutlich bin ich daran auch schuld, nicht wahr? Egal, was ich mache, einigen Leuten reicht es nie. Ja, dann rutscht mir halt wo 'runter. Auch mit solchen Menschen will ich dann nicht mehr diskutieren.

Im Übrigen: Warum hast du nicht schon längst sämtliche rechten Gruppierungen in Österreich abgeschafft, am Besten eure Regierung gleich mit? Du bist doch dieser Scheinlogik zufolge auch daran schuld, dass diese Dinge bei euch im Lande laufen!

Ich sag' dir mal, warum. Weil es nicht geht. Auch du kannst nicht in deinem Land alles, was da schiefläuft, von vorne bis hinten verhindern, boykottieren oder mit Demonstrationen verurteilen. Du bist ein knappes Neunmillionstel, genauso wie ich ein Achtzigmillionstel der Bevölkerung meines Landes bin. Wir haben Grenzen (nein, nicht die, über die die CSU und die AfD hierzulande schwadronieren). Wir sind beide nicht allmächtig. (Und bei mir ist das auch besser so, sonst hätte die Menschheit bei einigen Dingen nix mehr zu lachen mit baeuchlein Allmächtig.)

Und nun noch einen kleinen Tritt zum Abschied. Ist eigentlich mal jemandem, beispielsweise dir oder MaPa, eingefallen, dass ihr hier selber Vorurteile verbreitet, wenn ihr aus dem Schweigen Anderer irgendwas herauslest, ja sogar Schuldzuweisungen bastelt? Was wisst ihr schon von dem, was andere denken oder tun?

Weniger als ihr glaubt, offensichtlich.

Franz Kafka hat wohl mal gesagt: "Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich (...) stehen, wie vor dem Eingang zur Hölle." Das könnten sich nicht nur rechte Vollpfosten mal eingerahmt an die Wand hängen und ab und zu mal drüber nachdenken.
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