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Nachricht aus dem Archiv

baeuchlein schrieb am 25.September.2017, 21:00:50 in der Kategorie ot.politik

"Spinner"... soso...

> > > In der saechsischen Schweiz waer AfD (37,4%) + Linke (14,7%)
> > > regierungsfaehig.
> >
> > Eine Regierung aus diesen beiden Partnern klingt ungefaehr so realistisch
> > wie fliegende Schweine.
>
> Das schon...
>
> Genannt sind nur die Nachfolgespinner von NSDAP + SED

Die Linkspartei sehe ich, aehnlich wie wohl bender, nicht als "Spinner" an, auch wenn sie z.T. von der SED "abstammt". Ich selber stamme uebrigens zu einem Viertel von einem "Spinner" ab, der einerseits (rangniedriges) Mitglied der SS wurde, andererseits aber bis zuletzt gut mit den juedischen Mitgliedern der Familie zurecht kam. Seine Ueberreste ruhen nun auf einem grossen, in Belgien befindlichen deutschen Soldatenfriedhof, zusammen mit so vielen anderen, dass man es noch so gerade mit blossen Augen ueberblicken kann. Heraus kam das erst vor einigen Jahren; seine Frau hat nie erfahren, dass er nur ca. eine Stunde Autofahrt entfernt von ihrem Wohnort lag. Auch die deutsche Kriegsgraeberfuersorge hat das nicht 'rausgekriegt, da mussten sich schon enge Verwandte fuer ins Zeug legen. Soweit zu uns Spinner-Nachfahren, die wir in mehrfacher Hinsicht die Zeche zahlen mussten, die ein potenzieller Spinner durch eine falsche Entscheidung aufkommen liess. Und im Gegensatz zu manchem Zeitgenossen habe ich die Lehre aus jenem Krieg gezogen, dass man besser keine Kriege beginnt. Andere hierzulande zuendeln verbal an allen moeglichen Konflikten der Welt herum - da bin ich lieber ein gelaeuterter Spinner-Nachkomme als jemand, der gar nichts aus Fehlern der Vergangenheit gelernt hat.

Die Linkspartei will ich derzeit nicht als groessten Teil einer Bundesregierung haben, aber ich haette sie gern als einen kleinen Partner in so einer Regierung gesehen. Ob das nun Rot-Rot, Rot-Rot-Gruen oder Aehnliches waere, ist mir dabei gar nicht so wichtig. Wie ich oben schon in einem Monsterposting schrieb, halte ich nicht viel von dem derzeit um sich greifenden Neoliberalismus (und ich meine hier die heutige Bedeutung des Worts, und nicht irgendeine, die es vielleicht frueher mal hatte!), und die einzige Partei, die prozentual gesehen keine "Splitterpartei" ist und sich hier IMHO glaubwuerdig fuer eine Aenderung des Verhaeltnisses zur Wirtschaft einsetzt, ist derzeit eben die Linkspartei.

Vor fuenf bis sieben Jahren habe ich diese Partei noch deutlich anders gesehen, was z.T. wohl auch an den damaligen Aussagen Sahra Wagenknechts lag, die damals noch eine Vollverstaatlichung der Industrie und andere Radikalforderungen aeusserte. Das war definitiv nicht das, was ich fuer richtig halte. Ob Wagenknecht und andere inzwischen lediglich "Kreide gefressen" haben oder aber ein wirklicher Bewusstseinswandel eingesetzt hat, kann ich natuerlich mangels gedankenleserischer Faehigkeiten nicht sicher sagen, aber das ist auch weniger wichtig. Sollte "die Linke" mal im Bund in Regierungsverantwortung kommen und dort nicht ueberzeugen, werden sie halt nach einigen Jahren wieder abgewaehlt - so laeuft das in der Demokratie eben. Ausser, wenn man jahrelang immer wieder "Mutti" waehlt, weil ihre Politik so verlaesslich ist, oder so aehnlich. Dann kriegt man eben immer wieder das Gleiche.

Da ich das Verhaeltnis von Buergern und Staatsapparat zur Wirtschaft fuer wichtig halte und glaube, dass da in den vergangenen 20-25 Jahren immer mehr schief lief, so dass "die Wirtschaft" einen viel zu grossen Einfluss auf den "Rest der Welt" hatte, was wiederum zu diversen, miteinander verbundenen und ueber weitere Rueckkopplungen noch mehr verknuepften Problemfeldern fuehrte, habe ich diesmal auf die Linkspartei gesetzt und ihr nach vielen Ueberlegungen beide Stimmen gegeben. Wer dieses und das andere grosse Posting hier gelesen hat, kann sich das mit etwas Hirn im Schaedel eh denken, da kann ich mich diesbezueglich auch mal "outen". Viel schlimmer als die anderen bisher bekannten "etablierten" Parteien ist die Linke meiner Ansicht nach nicht, und da sie wohl kaum von jetzt auf gleich tonangebend in einer Regierung wird, wird man sie mit einiger Wahrscheinlichkeit von allzu schaedlichen Dingen ggf. schon abhalten.

Ich habe auch nicht etwa Partei X gewaehlt, weil ich Partei X so toll finde, oder weil ich schon ewig Partei X waehle und bis zum Totumfallen auch weiter waehlen werde, sondern weil ich glaube, dass die Politik, die ich persoenlich fuer richtig halte, derzeit nur von dieser Partei einigermassen (!) wahrscheinlich vorangetrieben werden wuerde. Und ich entscheide bei jeder Wahl auch wieder auf's Neue, welche Partei mir in jener Situation am Ehesten nuetzen wuerde. Sollte nun irgendwer meinen, mich auch zu einem Spinner erklaeren zu muessen, dann werde ich demjenigen mal erklaeren, was er mich gerne darf. Genug Rektum in der Hose habe ich fuer beides:devil:

Ich waere aber auch mit "Spinnern" bezueglich der AfD vorsichtig. Vielleicht haben die mal als Spinner angefangen (egal, ob man diese Anfaenge nun bei der NSDAP sieht oder erst bei Gruendung der AfD), aber inzwischen wissen die auch sehr gut, wie man in der Politik mit Worten und manchen Standardproblemen umgeht. Die haben damals die Abspaltung einiger Leute um Bernd Lucke (der seine Kumpels dann mit in die Versenkung nahm) ziemlich gut ueberstanden, die ueberleben womoeglich auch alles, was jetzt rund um die Petry laeuft. Und wenn ich sehe, was alles bei anderen Parteien lief, nachdem diese merkten, dass die AfD vor ein, zwei Jahren auf einmal immer mehr Prozente bei Wahlen holte, dann hat die AfD laengst auch Einfluss auf die Politik genommen, indem sie andere Parteien nach rechts 'rueber zog. (Wer weiss, vielleicht koennte die Linkspartei mal eine aehnliche Wirkung in die andere Richtung ausueben, selbst ohne Regierungsbeteiligung.)

Ausserdem sehe ich die Anfaenge des Aufstiegs der AfD auch darin, dass seit einigen Jahren hierzulande innerhalb der Buerger wieder rechtsgerichtete Ideen aus der Versenkung auftauchen und sichtbar werden. Die AfD surft seit einiger Zeit auch auf dieser Welle mit, aber gestartet hat diese Partei diese Welle meiner Ansicht nach nicht. Das steckte schon vorher ungesehen in der Bevoelkerung unseres Landes drin, und das nicht nur bei den "boesen Ossis".

Im Uebrigen halte ich dieses einfache Abkanzeln anderer Leute durch "Spinner" fuer nicht besonders klug. Sehr oft, wenn andere so mit politisch abweichenden Meinungen und deren Vertretern umgingen, lief das ansonsten so ab, dass der ganze Rest der Welt aus Spinnern bestand, ausser wenn sie der einzigen politischen Richtung, die die "Spinner!"-Rufer akzeptieren wollten, 180%ig folgen wollten. Das passt nicht in mein nicht so schwarz-weisses Weltbild. Und wer Leute, die irgendwo zwischen 13 und 15% der Waehler im Lande zur Stimmabgabe fuer sie bewegen konnte, nur mit "Spinner" loswerden will, unterschaetzt jene Anhaenger der "Spinner" gewaltig, oder auch die Tendenz, die "Spinner" aus Protest zu waehlen. Ich selber kann zwar nicht viel Vernuenftiges in den Vorhaben der AfD sehen, aber es steht nun mal jeden im Lande frei, das anders zu sehen. Man mag sogar ueberlegen, AfD zu waehlen, damit alle anderen Parteien nach rechts ruecken - nicht meine Wahl, aber vielleich die anderer Menschen. Diese Leute wird man aber meiner Meinung zufolge nicht mit abwertenden Bezeichnungen oder dem blossen Aufkleben des Etiketts "rechts!" davon abhalten, die AfD zu waehlen. Da hilft nur eine in den Augen der Waehler (!) bessere Politik seitens der jeweiligen Regierungsparteien. Womit wir wieder bei Unmut, Politikverdrossenheit und womoeglich Protestwahl sind.

Ich waehle Parteien lieber nach dem Bild, was sie heute in meinen Augen abgeben, nicht nach dem, was irgendwelche echten oder vermeintlichen Vorlaeufer im Zeitalter der Saurier getan haben. Guckt man mit diesem Blick nur lange genug hin, dann kann man irgendwann womoeglich gar nichts mehr waehlen, ohne sich selbst ordentlich was in die Tasche zu luegen.
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