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Serienfreund schrieb am 24.June.2017, 16:55:33 in der Kategorie nt.netz-treff

FDP wieder wählbar?

Sieht man einmal von regionalen Erfolgserlebnissen in den Anfangsjahren der BRD (bei der Hessen-Wahl 1950 überflügelte sie mal die CDU) ab, war die FDP bestenfalls immer und dies mit deutlichen Abstand drittstärkste Kraft.

Um diesen Abstand zu den beiden großen Kräften noch etwas zu verdeutlichen: Ihr bestes Resultat auf nationaler Ebene erreichte die FDP bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6%. Für die SPD wären solche Prozentzahlen ein Schock und für die Union eine Katastrophe.

Von daher blieben der FDP immer nur zwei Optionen: Entweder in die Opposition gehen oder als kleiner Partner in einer Koalition mit der Union (1949-1969, 1982-1998, 2005-2009) oder SPD (1969-1982) schon deutliche Abstriche am eigenen Programm zu machen, aber wenigstens mitregieren.

Der eine wird dieses FDP-Verhalten als "Entscheidung der Vernunft" sehen und der andere als "Fähnchen im Wind".
Was das richtige war (oder sein wird) kann niemand sagen. Denn es gibt nun mal nur eine Vergangenheit.

Man kann höchstens Vergleiche zu anderen Parteien anstellen. Die Linke war anders als die FDP auf Bundesebene in der Regel nie zu beachtenswerten Kompromissen bereit und hat deshalb nie etwas mitentscheiden können. Ich halte die Haltung, "eher akzeptiere ich notgedrungen eine vollkommen andere Politik, als mal Abstriche zu machen" für den schlechteren Weg, aber dies kann natürlich auch jeder anders sehen.

Zur Zukunft der FDP:

Eine Neuauflage der sozial-liberalen Koalition wird es schon auf Grund der Mehrheitsverhältnisse nicht geben. Umfragen sind zwar keine Wahlergebnisse. Aber SPD und FDP liegen derzeit zusammen bei etwas mehr als 30%.

Auch eine "Ampel" (SPD, Grüne, FDP) ist nach meiner Einschätzung kaum denkbar. Rechnerisch hätte sie wohl höchstens eine geringe Mehrheit, inhaltlich passt zu wenig zwischen den Dreien.

Die FDP hat zudem sich in bald 70 Jahren BRD fast immer in der Nähe der Union positioniert. Man sieht es ja an oberen Zahlen: 40 Regierungsjahre mit der Union; 13 Jahre mit der SPD.

Die heutigen Politiker mögen auf uns nicht mehr wie die Persönlichkeiten der 70er Jahre wirken (wobei sich im nachhinein auch vieles verklärt).
Aber Leute wie Lindner und Kubicki, die nun einmal bei der FDP das Sagen haben, wollen im Regel wenig bis nichts mit der SPD zu tun haben; mit den Grünen noch weniger.
Das hat sogar weniger damit zu tun, dass die Grünen "Halblinke" sind. Diese Zeit ist bei denen längst vorbei. Die Grünen sind heute vielmehr eine sozial-liberale und die FDP eine bürgerlich-liberale Partei, d.h. die kämpfen teilweise um die gleichen Wähler/innen.

1969 war nicht nur inhaltlich, sondern auch parteipolitisch eine ganz andere Zeit. Damals hatte es bei der FDP einen gravierenden inhaltlichen (von national-liberal zu sozial-liberal) Wechsel gegeben, der sich auch beim Parteivorsitz zeigte. Der bisherige sehr bekannte Vorsitzende (bis 1966 Vizekanzler und Bundesminister) Mende unterlag den damals wenig bekannten Walter Scheel.
Dieser Schwenk war auch deshalb möglich, weil sich die FDP von der Union "verraten" fühlte. 1966 war die Regierung Erhard (Union und FDP) zerbrochen und statt die bürgerliche Koalition mit neuem Personal und etwas geänderten Inhalten fortzuführen (man war ja in einer laufenden Legislaturperiode) koalierte die Union mir nichts dir nichts plötzlich mit der SPD.
Hinzu kam, dass die Union in den nachfolgenden Jahren bis 1969 ein Mehrheitswahlrecht durchsetzen wollte, was das Ende der FDP bedeuten hätte. Beim Mehrheitswahlrecht ist immer der gewählt, der in einem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommt; die Stimmen aller anderen Kandidaten fallen unter den Tisch; sprich: die FDP die bei der vorangegangenen Wahl 1965 für 9,5% und dem Verhältniswahlrecht = 49 Mandate bekam, hätte beim Mehrheitswahl = 0 Mandate erhalten. Die SPD zierte sich aber und so überlebte die FDP 1969 ganz knapp. Denn der Schwenk von national-liberal zu sozial-liberal wurde von etlichen ihrer Wählern nicht akzeptiert. Die FDP verlor 1969 fast 40% ihrer Wähler und kam mit 5,8% gerade so in den Bundestag.

Wenn sie jetzt erneut einen Schwenk von "bürgerlich" zu "sozial-liberal" macht wäre sie m.E. höchstwahrscheinlich dauerhaft weg vom Fenster.
Dies zumal sie auch nicht mehr zwingend als Mehrheitsbeschaffer benötigt wird. 1969 gab es nur drei Fraktionen im Bundestag und die FDP war damit "Zünglein an der Waage". Im nächsten Bundestag werden wir wahrscheinlich 6 Fraktionen haben und es sind mehrere Koalitionen zumindest nicht utopisch: Union/SPD, Union/FDP, SPD/Grüne/Linke, Union/Grüne.

Fazit: Wer die FDP nur an der Seite der SPD mag, wird sich daher eine andere Partei zum Wählen suchen müssen...oder er akzeptiert, dass die FDP nur dann mitbestimmen kann, wenn sie deutliche Kompromisse (Abstriche) gegenüber dem großen Koalitionspartner/n macht. Ein Weg übrigens, bei dem die FDP was die Stimmenanteile betrifft immer gut gefahren ist.
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