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Nachricht aus dem Archiv

baeuchlein schrieb am 12.March.2017, 03:06:40 in der Kategorie ot.haushalt

OT: Guck mal, der Fachkräftemangel kommt um die Ecke!

> Uh, eine Fachkräftemangeldiskussion. Seit Jahren lese ich immer wieder die
> gleichen Argumente.
>
> AG: Wir suchen händeringend (ich hasse diesen Begriff)

Und ich erst mal. Boah, ich kann's echt nicht mehr hören.

> nach Fachkräften,
> wir können längst nicht alle offenen Stellen besetzen. Wir brauchen
> Erleichterungen beim Import ausländischer Fachkräfte.
>
> AN: Ihr sucht vor allem billige Fachkräfte und wollt nicht ausbilden. Es
> gibt keinen Mangel an Fachkräften, nur an billigen Fachkräften, weil sich
> keiner unter Wert verkaufen will. Und das wollt ihr mit Leuten aus
> Billiglohnländern kompensieren.

Das sind in der Tat die häufigsten Argumente beider Seiten. Sowohl an denen der Arbeitgeber wie auch der Arbeitnehmer ist etwas dran. Keine der beiden Seiten erfasst mit den hier genannten Argumenten aber das gesamte Ausmaß des Problems.

Vor ca. 2 Jahren wurde mal eine Fersehsendung ausgestrahlt (und seitdem noch ein paar Mal wiederholt), in der den Vorwürfen seitens der Arbeitnehmer nachgegangen wurde, wobei man auch die Felder nebenbei abgraste, auf denen die Arbeitgeberseite ihre Argumente stehen hatte. Die Sendung machte deutlich, dass in der Realität die Vorwürfe der AN-Seite in bestimmten Bereichen auf jeden Fall zutrafen.

Mal konnte man tatsächlich sehen, dass in einer bestimmten Stadt viele ausgebildete Architekten mit guten Noten ("gut" und "sehr gut") seit mehr als einem Jahr nach dem Abschluss arbeitslos blieben trotz Bemühungen der Möchtegern-AN, eine Stelle zu kriegen. Gleichzeitig suchte die Gegenseite angeblich nach ebendiesen Architekten, wahrscheinlich sogar mit ringenden Händen. Einen Grund dafür, weswegen die AG-Seite keinen der vorhandenen Architekten einstellte, konnte niemand nennen (AG) bzw. finden (AN). Das sprach im Kontext der Sendung dann dafür, dass da der AG-Seite die Bezahlung nicht niedrig genug ausfiel. Theoretisch könnten die Möchtegern-AN natürlich auch zuviel Gehalt verlangt haben, aber ich glaube, die wurden nicht mal nennenswert zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Das riecht schon eher nach einem Problem, das durch die AG-Seite verursacht wurde.

Das mit den Billiglohnkräften wurde, wenn ich mich recht erinnere, anhand eines Ärztepaars näher beleuchtet. Die stammten aus Spanien und waren wohl komplett ausgebildete Klinikärzte, doch in der deutschen Klinik sollten sie einerseits ihre ganzen Kenntnisse einbringen, andererseits aber nur wie Krankenschwestern bezahlt werden und auch ähnlich wenig zu sagen haben. Der Ärztin war das nach einigen Monaten zu blöd, und sie ging lieber für deutlich weniger Geld in ihrer Heimat an der Tankstelle (!) arbeiten. Eine Reportage im Radio, die ich mal hörte, schnitt auch dieses Problem mal an. Das spricht schon dafür, dass auch dieser Vorwurf an die AG-Seite zumindest in einigen Branchen zutrifft.

Es gibt auch immer mal wieder Berichte über Azubis, die nicht zur Ausbildung geeignet wären. Auch da habe ich schon ein oder zwei gesehen, die zumindest zeigen, dass es nicht immer nur allein die Schuld der "unfähigen" Azubis ist. Bei manch einem anderen hingegen kann man schon verstehen, dass die Firma ihn irgendwann ablehnt, wenn es tatsächlich Defizite im Umgang mit Kollegen/Kunden oder gar Rechnen und Schreiben geht.

Geht es hingegen drum, dass Studierende gefälligst schon im dritten oder vierten Semester fließend Englisch verstehen und sprechen können sollen, dann kommt mir meistens ein "Geht's noch?" hoch. Das hat bei mir ein Bißchen länger gedauert als nur zwei Jährchen nach der Schule, und ich hatte da ein paar gute Voraussetzungen für "täglich ein Bißchen Englisch hören". Office, Excel und PowerPoint soll man natürlich auch immer können, jedoch noch früher. Wo und wann man dieses Wissen in diesem Zeitrahmen herkriegen soll, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.

Dass nun Firmen versuchen, ihre offenen Stellen mit Fachkräften aus dem Ausland zu besetzen, wenn sie im Inland keine Bewerber finden, die sie einstellen möchten, ist ja grundsätzlich verständlich. Es gibt da Situationen, wo man die Firmen verstehen kann. Das kann selbst beim Konkurrenzdruck noch zutreffen, auch wenn die Arbeitnehmer aus Land A zunächst mal ja nix dafür können, dass sie mehr Geld wollen oder gar brauchen wie Arbeitnehmer aus B, die aus irgendwelchen Gründen mit weniger auskommen.

Es gibt aber da auch Fälle, wo deutliche Anzeichen dafür zu sehen sind, dass Firmen sich in verschiedenerlei Hinsicht nicht anständig bemühen bzw. einfach nicht kapieren, dass bestimmte Gehälter nach dem einen oder anderen Kriterium (Preisniveau im Heimatland des Bewerbers, Gehaltshöhe verglichen mit einem anderen Land oder einer anderen Tätigkeit) nun mal nicht akzeptiert werden. Umgekehrt müssen auch Arbeitnehmer ja durchaus mal "Kröten schlucken". Das geht am Arbeits"markt" eben auch schon mal zu Ungunsten der AGs aus, dann müssen die eben einlenken - oder bitteschön ohne AN zurecht kommen. Auch die ANs müssen das ja oft tun.

Insgesamt sah man jedenfalls in dieser Sendung, dass die Vorwürfe an die AG-Seite nicht aus der Luft gegriffen waren. Sie stimmten wirklich nicht für jede Branche, aber sie kamen durchaus vor. Man könnte allerdings der Sendung vorwerfen, sich deutlich weniger um die Vorwürfe in Richtung AN-Seite gekümmert zu haben, ganz ausgespart wurden die aber auch nicht.

Aber da keine Seite Bock hat, auf die andere einzugehen, und die Gegenseite üblicherweise denselben Eindruck erweckt, wird das Theater noch eine Weile lang so weiter gehen, mit den Aufrufen beider Seiten in Richtung der Regierung, sie müsse was tun. Und die wiederum wird vermutlich mal wieder das Problem nicht lösen (und sich dann fragen, warum die AfD Zulauf kriegt). Same procedure as every year, James.

> Und was mich auch noch daran stört, ist die Definition Fachkraft, die viele
> Leute, die zB im Heise-Forum schreiben haben. Laut denen gehört nur zum
> erlauchten Kreis der Fachkräfte, wer ein abgeschlossenes Studium vorweisen
> kann. Jemand wie ich mit IHK-Abschluss, diversen Zertifikaten und etlichen
> Jahren Berufserfahrung betrachtet man maximal als Wasserträger. Ehrlich
> gesagt, ich glaube, daß diese Leute irgendwelche Minderwertigkeitskomplexe
> damit kompensieren wollen.

Könnte sein. Außerdem bekommt man es in Deutschland meiner Ansicht nach seit einigen Jahren wieder verstärkt mit Strukturen zu tun, bei denen "Höhere" diejenigen auf niedrigerer Stufe 'runterdrücken, und selbst Mit-Leidende grinsen ein Opfer dann besserwisserisch an und meinen, "das is' nun mal so" oder "da kann man halt nix machen". Dann gewöhnt sich eben wieder alles an das "nach oben buckeln, nach unten treten" sowie das Abwerten von Leuten, die eben nach irgendwelchen Kriterien nicht so edel und durchlaucht sind wie man selber. "IHK? Pfft! Guck' mal hier, mein -insert akademischen Abschluss here-, weißte!" Wer keinen solchen Abschluss hat, ist ja schließlich selber schuld. Und schon wieder freut sich die AfD, denn solchen Fuzzis passen Leute, die auf feste Hierarchien und auf zettelmäßig beurkundete Abschlüsse "abgerichtet" sind, ziemlich gut ins Konzept. Währenddessen zeigt die deutsche Politik seit dem Fall zu Guttenberg, was sie selber von solchen Abschlüssen hält: Mit welchen Mitteln man sie kriegt, ist doch scheißegal. Hauptsache, man hat den Wisch, egal ob mit betrugsmäßigen Mitteln oder durch die berühmt-berüchtigte "harte Arbeit".

Wenn man den Menschen nur lange genug weismacht, solche Dinge wären "normal", dann glauben auch ausreichend viele dran. Ich hab' selber mal sowas miterlebt.
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